Samstag, 17. August 2019

Tag 1 Darlington-Leeds 3-1-7

Das ist die Ausbeute von heute: Drei Brexiteers, eine neutrale Person und sieben Remainers. Anfangs dachte der Chronist, es gibt praktisch keine Remainer. Aber am Ende des Tages sah es anders aus. Es scheint auch eine Altersfrage zu sein. Aber der Reihe nach:
Die Anreise:
Natürlich war der Zug aus Minden nicht pünktlich und es wurde in Amsterdam schließlich knapp. Der Chronist wollte für die dreißig Kilometer vom Centraal nach IJmuiden zur Fähre das Rennrad benutzen. Er ließ es sich dann auch nicht nehmen, genoss diese perfekten, rot asphaltierten Radwege, hetzte ein wenig und kam pünktlich. Einschließlich heftigem Herzklopfen, dass ihn an einer Hubbrücke ereilte. Es läutete bereits deutlich, aber eine Verzögerung konnte er sich nicht leisten. James Bond wäre sicher noch gefahren, wenn sich die Fahrbahn schon gehoben hätte.
„Direct to the ship, they are waiting for you“ sagte der Einweiser. So liebt er es, zu früh ist uncool. Das Schiff ist unerwartet groß und unerwartet voll. Wer reist heute noch per Schiff nach England? Und die Kabine ziemlich kuschelig.


Auf der Fähre


Etwas mulmig war dem Chronisten dabei, sein teures Rennrad nur mit diesem seidenstrumpfdünnen Schlösslein im Fahrzeugdeck anschließen zu können. Leichtes Gepäck eben! Trotz der Größe des Schiffes lief selbiges auf offener See nicht wie auf Schienen. Man fühlte sich im Bett wie auf einer, kardanisch gelagerten, langsam dahinfahrenden (Kirmes-) Raupe.


Wie immer: Umsonst Sorgen gemacht


Brexitland, der Chronist hat Glück. Es geht um das Wetter, er hasst aufgequollene Füße, weil den ganzen Tag Wasser in den Rennradschuhen gestanden hat. Es ist aber nur leicht bewölkt, dazwischen scheint Sonne. Dafür weht ein ordentlicher Wind von vorn rechts, so ordentlich, dass der Chronist fürchtet davon eine schiefe Nase zu behalten.
Kundschaft, es fängt gut an. Sein erster Kunde ist der Staatsbeamte, deutlich älter als fünfzig Jahre, im Passhäuschen des Fährhafens. Ohne zu zögern ist er für den Brexit. „Brüssel mischt sich zu viel ein. Unsere Parlamentarier könne wir abwählen, die nicht“. Ein Selfie mit ihm traut sich der Chronist nicht. Die Einfahrt entlang des Flusses in die Stadt Newcastle ist eine Überraschung. Modernste Gebäude gemischt mit alter Pracht. Prächtig sind die alten Industriegebäude, noch prächtiger sind Bahnhof, Kirchen und andere Banken.

Überraschung Newcastle


Der Chronist muss zum Friseur, zu Hause war keine Zeit mehr. Eine gute Gelegenheit für das nächste Interview. „“Wir müssen raus, es hat schon viel zu lange gedauert. Die da machen das, was sie wollen und nicht was uns nützt“. Alan, sicher älter als fünfzig, möchte kein Foto, nicht mal seine Familie darf ihn fotografieren. Für elf Pfund kann der Chronist sich jetzt im Land sehen lassen.
Mit LNER fährt er von Newcastles Prachtbahnhof bis Darlington. Ab da ist die Tagesentfernung zum Einrollen ok. Im ersten Waggon befinden sich nur der Führerstand und ein Gepäckabteil. Da hinein kommt sein Rad, er selbst darf im anschließenden 1. Klasse Wagen sitzen, damit er beim Aussteigen flott wieder da ist. Darlington liefert ihm Spagetti und die nächste Kundschaft.



Margin weiß es nicht. Sie liebt Deutschland, „weil es da so sauber ist“


Gegenüber der Pizzeria: Ursula, lass dir das Geld wiedergeben


Radtechnisch ist es hier überraschend unkomfortabel. Die Straßen sind schlecht, der Belag ist grob und grob sind auch die Autofahrer. Sie wahren praktisch keinen Abstand. Sie wissen es nicht besser. Hier fährt niemand Rad. Auf den einhundert Kilometern bis Leeds wird der Chronist keine fünf Kollegen sehen, normale Tourenräder schon gar nicht.
Die blaue Linie folgt ziemlich einer Richtung, stracks nach Süden, was aber auch heißt, dass es querbeet geht. Der Chronist fährt einen Querschnitt in vielerlei Hinsicht durch das Land, verschiedenste Straßen, durch Landwirtschaftsflächen, kleine Orte, große Orte, ebenes Gelände, leichtes Relief, quert beeindruckend natürliche Flüsse und kommt an vielen Metern Mauern vorbei, die manchmal eine Öffnung haben, hinter denen eine gepflegte Anfahrt zu unsichtbaren alten Anwesen führt. Der Chronist sieht vor seinem inneren Auge gepflegte Herren mittleren Alters in dezent braunen Cordhosen, perfekt gebügelten, blauen Oberhemden unter karierten Jacketts, mit dessen Ärmel noch just ein Staubfaden vom Jaguar gewischt wird. Dann geht man die ausladenden Treppen in diese aus Natursteinen harmonisch gefügten Gebäude, um den Tee der Königin zu trinken.
Ripon bietet sich zu einer Kaffeepause auf dem alten Marktplatz an. Davor steht aber eine Hinterradpflege. Hinten geht schleichend Luft verloren. Am Ventil liegt es nicht, das kann der Chronist mit des Optikers Zange testen („please help yourself“ und weist großzügig auf den Werkzeugständer im Laden).
Mark, zwei Straßen weiter, hat einen Fahrradladen und hilft dem Chronisten für vierzehn Pfund in zehn Minuten aus der Patsche. Es war ein hauchfeiner Draht im Pneu.
Mark ist Remainer, schon wegen seiner Kinder, die beide in internationalen Unternehmen arbeiten. Auch auf höfliches Drängen: Kein Foto.


Die Frauen sind mutiger und können noch sehr guten Kuchen: Olivers Pantry. Im Bild die Remainer, am Auslöser eine Brexiteer: „Die Abstimmung hat stattgefunden. Basta“.


Lucy und Kelly sind Remainer: Es sei eine Frage der Bildung. In diesem Fall vielleicht auch des Alkohols. Für das Ankommerbier in Leeds muss der Chronist den Laden wechseln. Hier gibt es nur Spirituosen und Discomusik

Bilanz
Hier weiß der Chronist noch nichts von den Möglichkeiten der kommenden Tage, schnitttechnisch
Gute Nacht

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