Dienstag, 20. August 2019

Tag 4 Chesterfield - Peterborough 1-0-5

Liebe Leser und Mitreisende im Geiste. Der Chronist ist sich nicht sicher, ob er das heute hier noch zu Ende bringt. Es ist schon spät und er schwächelt leidlich.
Er fängt von hinten an, Peterborough hat ihn am Bahnhof einquartiert. Er liegt unter weißen Laken und entspannt, mit Blick durch Einscheibenschiebefenster auf die Schalter der Bahnstation. Das mit der Einscheibenverglasung muss er korrigieren. Da muss in den letzten fünfzehn Jahren eine Menge passiert sein. Man hat allgemein aufgerüstet. Das Hotel hier scheint eine Ausnahme.
Peterborough war ja nun nichts klangvolles, sondern einfach nur eine passable Entfernung zu Chesterfield, das wegen des Klanges auf die Reiseroute kam. Und hinter dem Bahnhof Richtung Stadt schreckte eine unförmige Festung namens Queens Park potenzielle Besucher eher ab. Ein Monstereinkaufszentrum. Trotz Schwächeln machte sich der Chronist auf den Weg, um vielleicht mal Spaghetti zu essen und nicht immer Fisch. Weil sich ihm hinter der Konsumfestung eine quirlige, reich anmutende Innenstadt auftat, ließ er den Italiener erst links liegen und folgte larifari dem Wegweiser zur Kathedrale. Und da hat es ihm doch die Sprache verschlagen. Eine solche Pracht war ihm noch nicht untergekommen. Nicht so gewaltig, wie der Kölner Dom, nicht so elegant, wie die Palermitaner Kirchen, nicht so wunderschön bunt, wie Istanbuler Moscheen, doch beim Betreten schoss ihm spontan ein Ausdruck in den Sinn, der schon mal bei Alkoholkonsum gebraucht wird: „knallen“. Der Anblick dieses Gebäudes, der Eintritt in das Innere knallte, knallte so richtig. Verstärkt auch noch durch eine Kunstinstallation mit einem riesigen, schwebenden Globus zu sphärischen Klängen. Dabei sind die Sphaghetti dann abhanden gekommen. Die Küchen waren schließlich zu. Er bekam noch eine halbe Pizza, während deren Verzehr schon die Stühle gerückt wurden.


Im Jahr 1211 gestartet, 120 Jahre gebaut, um 1800 vollständig renoviert. Eine Orgie aus feinstgliedrig  bearbeiten Steinen, aus feinstgliedrig geschnitzter Eiche; wie geht so etwas ohne CNC gesteuerte Fräsköpfe?. Eine atemberaubende Pracht, eine Pracht, die Macht demonstriert. Es war phänomenal und es war leer

Reisender, kommst Du nach Peterborough, die Kathedrale ist einen Abstecher wert. Deswegen ist der Chronist  ja nicht unterwegs, er konnte sich diesen Einschub aber nicht verkneifen.
Der Weg heute war reisenswert. Es fing zwar schon wieder so an, dass der Chronist im Geiste stänkerte. Der Fahrbahnbelag war sehr unkomfortabel. Er sah aus, als ob man das Bitumen nicht mit der schon beschriebenen Gloriaspritze aufgebrachte hätte, sondern eher aufgegüllt mit dieser modernen Landtechnik aus Schläuchen. Auf die so entstandenen Streifen hat man dann grob drauf geschottert. Aber diese Technik war endlich. Es wurde immer besser, Boris hatte auch nicht am Wind gestellt. Er blies anständig. Morgens trug der Himmel dick wattierte Decken, nachmittags zog er blank und wärmte den Chronisten auf den letzten Metern. Es ist dieser Tage schon ziemlich kühl.
Interessant, aber nicht so einfach, waren die rund fünfundzwanzig Kilometer Schotterpiste. Ein Stück auf einer alten Bahnstrecke, ein Stück entlang eines dieser alten, schmalen Kanäle.
Rad und Chronist nahmen keinen Schaden, es gab insgesamt viel Abwechslung in der Wahl der Verkehrswege, geräumige vierspurige Straßen der Kategorie A, enge, stark befahrene Straßen der Kategorie B. Neben den bekannten Malessen durch die sorglosen Fahrer fuhr der Chronist auch jedesmal deswegen zusammen, weil diese grobe Oberfläche die Autos so laut macht.
Eine ganze Weile ging es durch eine Art Kornkammer über kleine Straßen und Wirtschaftswege.
Den ganzen Tag über begegneten ihm Kollegen oder überholten ihn. Diese Gegend scheint ihren Habitatsansprüchen entgegenzukommen. Einen kleinen sportlichen Erfolg verbuchte der Chronist bei einem älteren „pushbiker“, dem er wegen dessen Stopps Hilfe anbot. „No my friend, the bike is good, the legs are shit“.
Heute durchfuhr den Chronisten der Gedanke, es könne jetzt so langsam langweilig werden, hier nur immer die Zählergebnisse zu präsentieren. Seine Idee war es dann, andere Begebenheiten zu kartografieren, solche, die Hinweise auf die Situation Anno Brexit geben.
England war mal reich, unvorstellbar reich. Das hat eine gigantische Menge an teuren, großen Gebäuden, an perfekter, großer Infrastruktur hervorgebracht. An beiden erstickt man schier. Es ist zu viel da. Und vieles wird auch nicht mehr gebraucht, ist überholt, ist nutzlos. So betrüblich der Verfall so vieler Kunstfertigkeit und Pracht auch ist. Es sind die Mittel nicht mehr da zum Unterhalt. Wofür auch? Vergleichbar kann man gespannt sein, wie die ölgeschmierten, arabischen Länder in 150 Jahren aussehen?
Doch sieht der Chronist außer neuen, großen Autos, dass auch investiert und das Leben neu erfunden wird. Er überblickt nur nicht den Umfang. (Eine Idee zu der auffälligen Neuwagenschwemme - die Straße wirkt ja wie ein Showroom für BMW, Audi, VW und Mercedes: Es ist Brexit und hinterher wird alles teurer; da haben viele noch mal schnell ihr Sparbuch geplündert oder einen Kredit aufgenommen und ein Festlandsauto gekauft)


Mal was Neues: Landprodukte der Region kommen „wiesenfrisch“ in einem großzügigen, professionellen Geschäft an den Kunden

Riesenbaustelle zu einem Industriepark


...und Kunst an der Baustelle: Alle greifen mit ins Rad



Moderne Viehställe, soweit das Auge reicht. Es gibt ärmliche landwirtschaftliche Anwesen, die in Schlamm und Gülle versinken, mit einem schlechten Maschinenpark aber auch Betriebe mit ähnlichen Großgeräten wie bei uns


Mit dem Fahrrad kam die Rezeptionistin von der Morgenschicht an, als der Chonist nach seinem Rad fragte. Beide hatten was zu lachen und die Dame keine Lust auf Brexit

Im Fahrstuhl geriet ihm Robert (75) in die Fänge. Ja, er habe dafür gestimmt. Als es mehr Informationen gab, war er dagegen. Jetzt muss es aber auch passieren (in der Linken hält der Chronist den Einkauf der älteren Fotografin. Sie hätte sonst nicht fotografieren können. Es war ohnehin problematisch, siehe Ausschnittswahl)

Der Chronist hat Kundschaft akquiriert und gar nicht mal uninteressante.


Mittagspause im Paradies. Niedrige Decken, dicke Teppiche, weiße Stofftischdecken. Seine ganzen Fish and Chips lang hat der Chronist gebraucht, sich zurechtzulegen, wie er die feinen Damen vom Nachbartisch anspricht; andere Gäste waren nicht da. „Dear Ladies...“. Die Ladies unterhielten sich über Schauspieler, Konzerte, den Zweiten Weltkrieg und so weiter. Foto ja gerne. Wir von dir? Nein, alle mit mir! Gekicher. Brexit? Nein, man sei immer dagegen gewesen, wie übrigens alle ihre Bekannten. Janet, ganz rechts hatte gleichzeitig Geburtstag und kämpfte mit Mary und Sylvia, v.l., hoffnungslos unterlegen mit den viel zu großen Portionen


Ruth mitten auf dem Lande, mitten in der Weizenernte. Das solle der Chronist dazuschreiben, weil sie so nach Arbeit aussähe. Sie stieg gerade vom Trecker, als er wegen Wasser (und Frage) auf den Hof einbog. Sie glaubt der Brexit ist ein Fehler, der jetzt aber passieren muss. Gerade die Farmer machen sich Sorgen


Bilanz

Es sieht so leicht aus, war es aber nicht; vielleicht macht es die Länge oder die riesige Portion Fish and Chips

Das war schwerer Mittagstisch.
Gute Nacht

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