Sonntag, 18. August 2019

Tag 2 Leeds-Liverpool 0-1-7

Liverpool, der Chronist ist an Jürgen Klopps Arbeitsplatz, in der Heimatstadt der Beatles. Er hat ein schönes Zimmer am Hafen, mit behindertengerechtem Badezimmer und Wanne. Das konnte er gut gebrauchen. Es war nicht einfach gestern.
Liverpool macht an der Wasserlinie einen attraktiven Eindruck. Eine quirlige Menge Menschen genießt die bunte, moderne und auch traditionelle Waterfront.


Vor Zaha Hadids Liverpool Museum


Den Weg durch die Stadt dahin hat der Chronist ausgeblendet. Er war einfach fertig. Erstens hat er aus Ungeschicklichkeit heraus erst nach einhundert Kilometern eine Pause gemacht und zweitens hat ihn der Wind die ganze Fahrt gefoltert. Mit dreißig Stundenkilometern pustete er gegen ihn. Als ob jemand eine Kerze auspustet, versuchte der Wind ihn ausblasenzu. Man musste Angst haben, dass die Blumenampeln an den Häusern wegwehten. Entsprechend mager ist der Schnitt - siehe unten.




Windzauberei

Vielleicht lag es ein bisschen auch daran, aber nicht nur: Lieber Boris, wie kannst du nur so eine große Fresse haben und im Lande liegt gleichzeitig so viel im Argen? Radfahrtechnisch seid ihr noch nicht einmal Schwellenland. Das zum einen und zum andern: Deine Straßen sind die schlechtesten Europas. Der Chronist weiß wovon er redet, hat er doch mittlerweile rund zweihundertfünfzig Kilometer bei dir mit seinem Sieben-Bar-Prüfrad abgekurbelt. Und er war schon tausende Kilometer in anderen Ländern unterwegs. Aber sowas ist ihm noch nicht untergekommen. Eure Grundkonstruktion kann man salopp so beschreiben: Auf den Untergrund wird mit einer umgebauten Gloria-Gartenspritze Bitumen aufgespritzt, aber nicht zu viel und darauf wird dann Grobsplitt verteilt, aber so richtig grob. Und dann wird zwanzig Jahre nichts mehr dran gemacht. Höchstens geflickt, wenn ein Kabelgraben oder sonst ein Eingriff passierte. Die Bürgersteige sind nicht begehbar, sie sind eine Schande für jede europäische Nation, deshalb müssen deine Leute auch alles mit dem Auto machen. Das und ihre spezielle Bohnen-Speck-Diät zusammen mit dem Alkohol lässt sie dann oft so aus der Form geraten (obwohl, hier sieht der Chronist Besserung, jedenfalls bei der Anwendung dick machender Rauschmittel: Man geht über zu Lachgas, die Straßenränder sind voll kleiner, leerer Kartuschen, man fährt also begast, wird aber nicht dick davon; das muss er noch seinem Schutzengel erzählen).
Deine Radwege sind Resterampe, ein schmaler Alibistreifen, der als Sammelstelle für Dreck, Scherben und verlorenes Autozubehör dient, weil er nie gekehrt wird. Seine Oberfläche ist ohnehin nicht anders als deine Frisur. Dann peitschen dem Nutzer noch die ungeschnittenen Zweige ins Gesicht. Also wenn mal Paris-Roubaix aus unvorhergesehen Gründen nicht stattfinden kann. Bei dir ist überall Roubaix.
Lieber Boris, der Chronist hätte an deiner Stelle die Fresse gehalten, sich von Brüssel Strukturmittel in Milliardenhöhe besorgt und die Infrastruktur auf Vordermann gebracht.
Was ihn ja brennend interessiert: Auf den armen Straßen rollt es nicht arm daher. Mercedes, Audi, BMW, Jeep, alle in groß, dazu die ganze Palette angepasster Range Rover und Jaguar (angepasst an diese vollendete Sinnfreiheit die Städte verstopfender SUV‘s). Wie passt das zu dieser verlotterten Infrastruktur, zu diesen vielen mit Sperrholz vernagelten Fenstern, zu den aufgegebenen Friedhöfen, zu dem ganzen Müll neben der Straße und den unlesbaren Hinweisschildern zur Geschwindigkeitskontrolle. Die sind so lange nicht geputzt worden, dass sie vor Grünspan unlesbar sind (und wenn sie es wären, ist der Chronist nicht davon überzeugt, dass sie wirken. Es wird gerast).
Also Geld scheint da zu sein. Nur zum Konsum? Und womit verdient ihr das? Neben ganz viel verlassenen Industriebrachen tauchen wohl große, neue Gewerbeparks auf und von den rund dreißig Unicorns (Startups mit einer Milliarde Wert) in Europa, ist die Hälfte bei Euch. Hmm. Das musste jetzt mal sein. Boris, Du fängst ja auch erst an. Denk mal drüber nach. Das man hier das Rad mit aufs Zimmer nehmen darf und das es beim Bahnfahren kostenlos mitfährt, wiegt das übrige Desaster beileibe nicht auf.


Rad mit Aussicht


Die Bilanz in Sachen Brexit ist heute wenig repräsentativ. Es gab wenig Kundschaft und der größere Teil davon war nicht von hier. Alle Morgenzeitungen im Hotel in Leeds hatten das Thema auf der Titelseite.



Ohne Worte

Der Chronist fragte im Hotel Jack, den jungen Chef des Frühstücksaals. Er machte gerne ein Foto von ihm, gab ihm eine kluge Antwort auf seine Frage, von der er ungefähr verstand, dass zwar eine Änderung im Lande stattfinden muss, aber diese innerhalb der EU-Gemeinschaft.


Schwarz-weiß Graffiti auf alten Ziegelsteinen, fotografiert von Jack




Jack, Selfies muss der Chronist noch lernen


Dann kam lange Zeit gar nichts. Das Rütteln und Schütteln auf den schlechten Straßen hatte den Chronisten paralysiert. Erst das Ankommerbier zu Fish and Chips im umgebauten Lagerhaus des Albert Docks am Hafen hauchte ihm wieder so viel Leben ein, dass er sich für seine Tischnachbarn interessierte. Der Sprache nach meinte er sie Schottland zuordnen zu können. Tatsächlich waren es Finnen auf einem Tagesausflug von Manchester. Dort wohnten sie traditionsgemäß dem ersten Saisonspiel ihrer englischen Lieblingsmannschaft bei (England hat die teuerste Fußballliga der Welt, frisst sie das ganze Geld?). Hier das Ergebnis:





V.l: Markus, Panu, Ville I., Heiki, Janne, Ville II.; alle bis auf Panu sind Remainer, Panu ist für Neuabstimmung (von wegen Cambridge Analytica und so)


Bilanz


WSW stand in der Wetter-App; entsprechend bescheiden ist das Ergebnis; heute gab es durchaus einige Kollegen unterwegs, besonders in den Bergen. Drei mit ihm, dreißig kamen entgegen, mit entspanntem Grinsen und auf großem Gang
Man sieht sich.

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